Horst Köhler ist ohne Zweifel der Mann der Stunde. Der Bundespräsident, der qua Amt im Normalfall eher repräsentative Aufgaben wahrnimmt, muss eine weit reichende Entscheidung treffen: Löst er nach der verlorenen Vertrauensfrage von Bundeskanzler Gerhard Schröder den Bundestag auf oder nicht? Neben dieser Frage beschäftigt das politische Berlin derzeit vor allem eines: Wann genau sagt Köhler, was geschehen soll mit dem Parlament? Frühestens heute könnte der Präsident vor das Volk treten, wenn der vom Bundeskanzler angepeilte Wahltermin am 18. September eingehalten werden soll - denn laut Verfassung darf nur innerhalb von 60 Tagen nach der Entscheidung des Bundespräsidenten ein neuer Bundestag gewählt werden.
Spätestens aber bis Freitag, zwölf Uhr mittags, muss Köhler seinen Entschluss gefasst haben. Auch dieses Zeitlimit gibt ihm das Gesetz vor. Denn zwischen Vertrauensfrage und der möglichen Auflösung des Bundestages dürfen maximal 21 Tage vergehen. Dass Köhler seine Bedenkzeit voll ausschöpfen würde, war von Beginn an vermutet worden. Inzwischen rätseln Beobachter allerdings, warum der Tag der Verkündung derart im Geheimen bleibt.
Alles noch einmal wie 1983?
[Bildunterschrift: Soll als erster von der Entscheidung des Bundespräsidenten erfahren: Bundeskanzler Gerhard Schröder]
Kein Geheimnis ist hingegen, was geschehen wird, wenn Köhler den Bundestag auflöst. Dann nämlich wird der Mannheimer Jura-Professor Wolf-Rüdiger Schenke im Auftrag des Grünen Bundestagsabgeordneten Werner Schulz Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Schenke hat Erfahrung in dieser Sache. Gleiches tat er nämlich bereits 1983 mit dem Mandat mehrerer FDP-Bundestagsabgeordneter. Damals hatte Bundespräsident Karl Carstens den Bundestag aufgelöst und Neuwahlen angesetzt. Vor dem Verfassungsgericht scheiterte Schenke seinerzeit zwar. Doch setzten die Richter damals hohe Hürden für die etwaige Neuauflage einer Parlamentsauflösung.
Aus diesem Grund ist Schenke auch optimistisch, mit seiner Klage jetzt Erfolg zu haben. "Ich gehe von guten Erfolgsaussichten aus, da der Bundeskanzler nach wie vor das Vertrauen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags besitzt und insofern nicht die Voraussetzungen für eine Verfassungsmäßigkeit der Vertrauensfrage und eine Auflösung des Bundestags vorliegen", sagt der Jurist.
Unruhe, Furcht und Sorge bei den Parteien
Doch nicht nur aus diesem Grund ist bei allen im Bundestag vertretenen Parteien eine gewisse Unruhe ausgebrochen. Sowohl Koalition wie Opposition wollen Neuwahlen. Nun aber besteht Furcht und Sorge, der Wahltermin könnte erst zu einem späteren Termin als geplant angesetzt werden. Schlimmer noch: Womöglich fällt die Wahl ganz ins Wasser. Es gibt Indizien, die solchen Befürchtungen Nahrung geben. So hieß es beispielsweise in der schriftlichen Begründung des Bundesverfassungsgerichts zur Fortsetzung der Beweisaufnahme im Visa-Ausschuss, selbst wenn eine Neuwahl in der zweiten Septemberhälfte "oder später" stattfände, bleibe immer noch Zeit für einen Bericht des Ausschusses an den Bundestag.
Hatten die Verfassungsrichter in diesem Urteil bereits mit der Formulierung "oder später" durchblicken lassen, dass sie sich nicht dem Zeitplan des Bundeskanzlers unterwerfen würden? Wie rasch das Bundesverfassungsgericht nach der Klage von Schulz und anderen entscheiden könnte, zeigt ein historisches Beispiel: Nachdem Bundespräsident Carstens am 6. Januar 1983 den Bundestag aufgelöst hatte, legte das Verfassungsgericht bereits am 16. Februar ein umfangreiches Urteil vor.
Deutliche Warnung an den Kanzler
Geht man von diesem Zeitmaßstab aus, könnte bereits Ende August der Richterspruch vorliegen - also deutlich vor dem geplanten Neuwahltermin am 18. September. Andererseits: Gerade das Urteil von damals verkompliziert die aktuelle Entscheidung. Denn vor mehr als zwanzig Jahren hatten die Richter eine deutliche Warnung an die Adresse künftiger Kanzler gerichtet: So leicht würden Neuwahlen künftig nicht mehr zu haben sein.
Die Vorbereitungen auf die Bundestagswahl laufen indes bereits auf Hochtouren. Bis zum 15. August müssen die Parteien ihre Wahlvorschläge beim Kreis- oder Landeswahlleiter einreichen. Die Entscheidungsträger in den Parteien dürften sich derweil fühlen wie Jugendliche, die am Wochenende fest auf eine sturmfreie Bude spekuliert haben: Die Party ist schon organisiert, aber die Eltern wollen vielleicht lieber doch zu Hause bleiben.
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